Smart New World
5. April—10. August 2014, Kunsthalle Düsseldorf
Die Bezeichnung »Big Data«, als ein Begriff aus dem Wirtschaftsjargon und mehr noch als Beschwörung eines kommenden Zusammenbruchs, ist schnell langweilig geworden. Doch die enorme Ausweitung der Bandbreite und Tiefe von Informationen über unser Verhalten, die routinemäßig erfasst werden, und die neuen Analysemöglichkeiten, die dadurch entstehen, lassen sich nicht leugnen. Einer Schätzung zufolge werden derzeit mehr als 98 Prozent der weltweiten Informationen digital gespeichert, und dieses Datenvolumen hat sich seit 2007 vervierfacht. Ein großer Teil dieser Daten wird von gewöhnlichen Menschen am Arbeitsplatz und zu Hause erzeugt, indem sie E-Mails verschicken, im Internet surfen, sich in sozialen Netzwerken bewegen, an Crowdsourcing-Projekten arbeiten und vieles mehr – und indem sie dies tun, haben sie unwissentlich dazu beigetragen, ein großartiges neues gesellschaftliches Projekt zu starten. Wir befinden uns inmitten eines großen Infrastrukturprojekts, das in gewisser Hinsicht denen der Vergangenheit – von den römischen Aquädukten bis zur Encyclopédie der Aufklärung – gleichkommt.[7] Das digitale Spiegelbild des Gegenwartsmenschen ist in Hunderte Einzelteile zersplittert.[8]
Das Wissen im Internet ist dynamisch. Es ist flüchtig. Es ist volatil. Es ändert jeden Tag seine Gestalt. Wir wissen wenig über seine Quellen, über die dahinterstehenden Interessen und seine Glaubwürdigkeit.[9] Die Folge ist eine zunehmende Copy-and-paste-Kultur ohne echte Aneignung des Inhalts.[10] Informationen wollen gratis sein. Gleichzeitig wollen Informationen teuer sein. Informationen wollen gratis sein, weil es so billig geworden ist, sie zu verbreiten, zu kopieren und neu zusammenzustellen – zu billig, um messbar zu sein. Sie wollen teuer sein, weil sie für den Empfänger unermesslich wertvoll sein können. Diese Spannung wird sich nicht auflösen.[11]
Im Fokus der Ausstellung Smart New World steht der grundlegende, die Gesellschaft radikal verändernde Prozess der Digitalisierung – die Auflösung und Überführung analoger Informationen in digitale Codes zum Zweck ihrer Speicherung und Weiterverarbeitung. Die eingeladenen Künstlerinnen und Künstler nutzen die rasanten Entwicklungen der digitalen Technologie nicht nur als Inspiration für ihre Bildwelten, sondern reflektieren vor allem deren kulturelle, gesellschaftliche und politische Dimension.
Scharfsinnig, kritisch und auch humorvoll widmen sich die unterschiedlichen Arbeiten den Möglichkeiten, Visionen und Gefahren der Digitalisierung. Dabei wird die staatliche und ökonomische Zensur, die einen Angriff auf demokratische Wissensproduktion und die Privatsphäre jedes Einzelnen bedeutet genauso in Augenschein genommen, wie die Auswirkungen des Internets auf unsere Denk- und Wissensstrukturen. Alle Werke verbindet ihr investigatives Potenzial.
Die International Necronautical Society (INS), ein neoavantgardistisches, streng hierarchisch organisiertes Netzwerk von Künstlern, Schriftstellern und Philosophen, hat ein komplexes Einlassverfahren für die Ausstellung entwickelt, bei dem jeder Besucher mit seiner Unterschrift einen Verbrauchervertrag auf Basis der philosophischen Doktrin der INS abschließen muss. Die Unterzeichnung dieser Erklärung, die auf den Bedingungen der digital-kapitalistischen Gegenwart basiert, ist unabdingbare Voraussetzung für den Besuch der Ausstellung. [...]
[1] www.spiegel.de/spiegel/print/d-14838490.html
[2] http://www.fes.de/aktuell/documents%202013/130215_Digitaler_Kapitalismus.pdf
[3] http://irights.info/eine-informationsgesellschaft-ist-immer-eine-uberwachungsgesellschaft
[4] http://www.tagesanzeiger.ch/leben/gesellschaft/Die-PostPrivacyBewegung/story/18211611?track
[5] http://www.washingtonsblog.com/2013/06/top-spying-experts-even-good-people-should-oppose-spying-because-if-someone-in-government-takes-a-dislike-to-you-the-surveillance-can-be-used-to-frame-you.html
[6] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/armeen-der-zukunft-technologien-und-taktik-fuer-den-krieg-von-morgen-a-846443.html
[7] http://www.theatlantic.com/magazine/archive/2013/12/theyre-watching-you-at-work/354681/
[8] http://www.spiegel.de/netzwelt/web/identitaet-im-netz-das-digitale-ich-liegt-in-scherben-a-567899.html
[9] http://www.julius-leber-forum.de/projekte/digitale-oeffentlichkeit/2012/06-wissen-der-welt.html?np_all=1
[10] http://www.zeit.de/studium/hochschule/2011-05/lehre-google
[11] http://www.librarianoffortune.com/librarian_of_fortune/2011/08/information-wants-to-be-free-or-expensive.html [letzte Zugriffe: 4- März 2014]
Kuratiert von Elodie Evers und Magdalena Holzhey