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Lasst die Puppen tanzen!
An der Berliner Schauspielschule »Ernst Busch«
endet das erste Studienjahr Digitales Puppenspiel

Kinderkram und Knüppel aus dem Sack. So etikettierte das kulturelle Establishment der BRD einst das Puppenspiel. Und gemessen an der staatlichen Förderung und der kulturpolitischen Anerkennung in Westdeutschland blieb es auch eine – wenn auch zunehmend experimentierfreudige – Randerscheinung. Die populären und fernsehtauglichen Formate wie die Augsburger Puppenkiste waren zwar fantasievoll und lustig, richteten sich aber tatsächlich an Kinder und waren in Sachen Thematik und Dramaturgie eingeschränkt. Es ist eine Situation, die ein bisschen an die heutige Computerspielkultur erinnert. Tatsächlich sind sich Puppen- und Computerspiele auch fernab der Grabenkämpfen und des Rechtfertigungsdrucks gar nicht so fern. Das wohl prominenteste Beispiel: Die zahllosen Machinimas, die nichts anderes sind als eine aufgezeichnete Form von Live-Puppenspiel.


Einfach war es trotzdem nicht, 2012 an der Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch« Berlin eine Professur für digitale Puppenspielkunst einzurichten, und damit auch eine neue Schnittstelle, die beide Spielarten in sich vereint. Nun aber ist sie die weltweit erste ihrer Art, und es standen durchaus einige Kandidaten für die Professur zur Auswahl. Letztlich war die Stelle wie maßgeschneidert für Friedrich Kirschner, der bereits seit zehn Jahren das Theater im Digitalen findet und mit seiner Forschung und seinen Werken eine Konvergenz vorantreibt, auf der Bühne wie auf dem Bildschirm. Nur: Was bedeutet es eigentlich, das buchstäbliche Handwerk des Figurentheaters mit einem digitalen Tool-Set zu erweitern?


Beobachten lässt sich das in Kirschners Seminarraum, der mehr Werkstatt als Klassenzimmer ist, mit allerlei Bauteilen, Werkzeugen, Kabeln, Monitoren und aufgeklappten, vor sich hinsurrenden Laptops. Hier bringt der 33jährige seinem allerersten Jahrgang bei, eine kamerabewehrte Drohne zu fliegen. Die vier in einen Styroporrahmen eingefassten Propeller rotieren, als ein Studierender den grünen Knopf auf dem zur Fernbedienung umfunktionierten Xbox-Controller drückt und die Drohne aufsteigt. Mit den kleinen Steuerknüppeln kontrolliert er Richtung und Neigung, während er gleichzeitig versucht, die Linien nachzufliegen, die ein anderer Studierender mit rotem Klebeband auf den Boden geklebt hat. Einen Raum weiter werden die Kamerabilder bearbeitet, die der Flugapparat liefert. Die Aufnahmen erhalten einen Grünstich und erinnern sogleich an Bilder von mit chirurgischer Präzision durchgeführten Luftschlägen. »Der Hintergrund unseres ersten Stückes ist eine Idee, die Baudrillard vertritt, nämlich die Frage, was eigentlich noch real ist und was simuliert«, sagt Kirschner. »Wir alle haben uns ein Bild von Afghanistan gemacht, aber es gibt keine objektive Realität, das Zeichen hat das eigentliche Objekt ersetzt.« Denn unser Sinn für die Authentizität von Bildmaterial ist sehr abhängig von der Bildästhetik. Was verwackelt und unscharf und am besten mit dem Handy aufgenommen worden ist, gilt als echt, das Zeichen ersetzt das Bezeichnete, ob in Afghanistan oder anderswo.      


Die Drohne nun ist nichts anderes als eine Puppe, nur hat sie Rotoren, und das einzig Digitale an ihr ist die Art der Steuerung. Was für die Drohne im realen Raum gilt, muss ebenso für den virtuelle Raum gelten, meint Fachbereichsleiter Hand—Jochen Menzel: »Ein Puppenspieler macht analog eine Bewegung, die vom Auge und Gehirn des Betrachters als lebendig wahrgenommen wird. Mit den virtuellen Puppen ist das deckungsgleich. Nur, dass ich da eine Maus habe und einen Kubus im Display bewege.«


Der Einstieg in den digitalen Kosmos erfolgt gemächlich, wohl auch, um die analoge Theaterwelt nicht zu verschrecken. Denn eigentlich denkt Kirschner viel weiter. Er will mit seinen Studenten iterativ arbeiten, das heißt, er will eine Szene schrittweise durchexerzieren, bis hin zur Perfektion. Das ist neu für digital animierte Lebenswelten. Die animierten Pixar-Filme etwa entstehen Bild für Bild am Computer, um dann, Hauruck, zu einem finalen Hochglanzprodukt ausgelesen zu werden. »Beim Animationsfilm hat man eine Vorstellung von den Dingen, aber erst ganz zum Schluss setzt man sich vor den Computer, meistens in einen dunklen Kellerraum, und ist dann Wochen und Monate damit beschäftigt, auf Tastaturen herumzutippen und Mäuse zu führen,« erklärt Kirschner, warum es ihm wichtig ist, ganz unmittelbare Resultate vor Augen zu haben. Solche, denen die Lebendigkeit des menschlichen Makels anzusehen ist.


»Echtzeit« lautet das Zauberwort. Wir wissen, dass Computerspiele die Kulissen und den komplexen Bewegungsapparat von Figuren liefern können, vor allem aber die Möglichkeit geben, diese wie Puppen zu handhaben und spontan agieren zu lassen. Tatsächlich ist der iterative Prozess, sich peu a peu dem gewünschten Ergebnis zu anzunähern, eine weitere Gemeinsamkeit von Puppen- und Computerspiel. Kirschner selbst hat den Programmcode des Egoshooters »Unreal Tournament 2004« als technisches Fundament für seine Machinima-Kurzfilme »Person2184« und »The Journey« benutzt. Vergeblich sucht man darin Überreste der bonbonbunten Ballerspiel-Ästhetik von »Unreal Tournament«. Nichts erinnert an die grobschlächtige Dreidimensionalität früher Spiele und 3D-Trickfilme. Kirschners Figuren wandeln durch schwarz umrandete Großstadtkulissen und sehen aus, als seien sie mit der Schablone auf den Bürgersteig gesprüht und dann zum Leben erweckt worden. Auch wer ganz ohne kreativen Hintergedanken zockt, fügt trotzdem einer statischen Kulisse ein dynamisches Element hinzu, natürlich innerhalb vorgegebener Parameter. Beim Animationsfilm wurde diese Dynamik durch den Produktionsprozess wenn nicht ausgemerzt, so doch vorverlagert.


Und doch waren auch Computerspiele nur ein Behelf, vor allem, weil sie – im Gegensatz zu herkömmlicher Software wie 3D Studio oder Maya – preiswert waren und dazu noch leicht zu modifizieren. Ein paar Zeilen Code umschreiben, die Texturen auswechseln, fertig ist das virtuelle Puppenspielstudio. Trotzdem programmierte Kirschner mit Moviesandbox eine eigene Software für die Echtzeit-Animation von Figuren. Er entwickelte auch andere Hilfsmittel selbst, etwa einen voll funktionsfähigen Scanner für dreidimensionale Objekte, der Milch oder Softdrinks als Kontrastflüssigkit benutzt und nur aus Legobausteinen, einer Kamera und einer selbst geschriebenen Treibersoftware besteht. Nun, als Lehrbeauftragter für Puppenschauspiel mit digitalen Hilfsmitteln, muss er zusehen, wie der Technik eine Erzählung vorangestellt wird. Denn eine Drohne macht noch kein Theater, auch wenn das Drohnenstück kurzweilig und witzig war (hier ein kurzer Ausschnitt). Das zweite Stück, eine nicht wenig durchgeknallte Bearbeitung von Schostakowitschs »Märchen vom Popen und seinem Knecht Balda«, wurde bereits sehr positiv besprochen (hier ein längerer Ausschnitt). In diesem Oktober beginnt der zweite Jahrgang mit seiner Ausbildung. »Wir müssen noch sehen, in welche Richtung wir uns mit dem digitalen Puppenspiel entwickeln wollen, wohin das gehen wird«, sagt Kirschner. Aber bislang scheint die Richtung ja zu stimmen.


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