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Games als Potenzial zur Wertevermittlung in der Familie: Spieleanalysen

Diese Arbeit wurde im Rahmen einer Modulabschlussprüfung für den Master Intermedia verfasst und wurde zwecks der Veröffentlichung gekürzt und überarbeitet.


Im zweiten Teil des Artikels (erster Teil hier) werden zwei Spiele beispielhaft vorgestellt, die das Potenzial von Games als Werkzeug zur Wertevermittlung aufzeigen. Während »The Awesome Adventures of Captain Spirit« die Vermittlung von Normen und Werten innerhalb schwieriger sozialer sowie emotionaler Zustände in der Familie schildert, geht es bei »Monument Valley 2« um die Bedeutung des Mutter-Tochter-Verhältnisses und die damit verbundenen Entscheidungen und Lebensaufgaben auf dem Weg zur Adoleszenz.


»The Awesome Adventures of Captain Spirit«


Das Adventure-Game ist 2018 als kostenlose Demo für den anschließend erscheinenden zweiten Teil des Spiels »Life is Strange« herausgekommen und spielt in dessen Universum. Beide Spiele wurden von Dontnod Entertainment entwickelt und von Square Enix vertrieben. Im Fokus der Handlung von »The Awesome Adventures of Captain Spirit« steht Chris Eriksen, der mit seinem arbeitslosen Vater Charles gemeinsam in einem Haus in Beaver Creek wohnt. Nach dem Tod von Chris‘ Mutter Emily, flüchtet sich Charles in den Alkoholismus, während Chris in seiner Fantasie ein Superhelden-Alter-Ego kreiert, mit dem er vor der Realität flieht und Abenteuer auf einem fiktiven Planeten erlebt. Die Handlung wird durch einen Hybrid aus Entdeckermodus und Dialogen vorangetrieben. Ein wichtiger Aspekt im Spiel ist, dass Entscheidungen individuell getroffen werden und zu unterschiedlichen Spielverläufen führen können.


Chris und Charles Eriksen befinden sich in einer schwierigen familiären Lage. Durch den Tod der Mutter sind beide Figuren nicht nur so emotional betroffen, dass sie sich voneinander entfernt haben, sondern auch durch eine schlechte finanzielle Lage sowie die Alkoholsucht des Vaters in einem Zustand, der ausweglos zu sein scheint. Obwohl Emily Eriksens Eltern sehr liebevoll und besorgt um die beiden sind, lässt Charlie keine anderen Personen mehr an sich und Chris heran. Er möchte keinen Kontakt zu anderen Menschen und hat eine negative Einstellung zu ihnen. Einerseits wird dadurch das Wir-Gefühl von Chris und Charlie verstärkt, andererseits zwingt diese Situation Chris dazu, Verantwortung für seinen Vater zu übernehmen. Daher muss er für sein Alter bereits sehr erwachsen und altruistisch handeln. Obwohl Charlie versucht, auf Chris‘ Wohl zu achten, ist dieser eigentlich auf sich selbst gestellt und sorgt für seinen Vater. Er kocht ihm Essen, macht die Wäsche und sorgt für Warmwasser. Die einst starke emotionale Familienbindung wurde durch die Sucht ausgetauscht und führte zu einer Verlagerung der Rollen. Charlie verspricht seinem Sohn immer wieder gemeinsame Aktivitäten, doch Chris weiß um die Lügen und Ausreden seines Vaters.  Dennoch ist gerade Chris dazu befähigt, die Familie durch Herstellungsleistung aufrecht zu erhalten, indem er durch altruistisches Handeln für sich und seinen Vater sorgt und auf eine bessere Zukunft hofft.


Die Vermittlung und Herstellung von normativem Denken und Handeln findet im Spiel explizit und implizit statt. Als Vaterfigur hat Charlie Einfluss auf Chris, was er allerdings ausblendet. Seine Sucht hat überhandgenommen und er achtet bei seinem jungen Sohn nicht mehr auf sein Verhalten. Bierflaschen und Zigarettenstummel sind im Haus verteilt, Pornohefte im Schrank versteckt. Charlie lässt seine Aggressionen und Schuldzuweisungen aufgrund des Todes seiner Frau an Chris raus. Der Vater ist jedoch nicht komplett abgestumpft und zeigt unterbewusst auch seine emotionale Seite, indem er eine Sammlung an Erinnerungen an die Mutter aufbewahrt hat, um sich an die gemeinsamen Momente zu erinnern. Auch sein Engagement, den Unfall aufzuklären, zeigt Chris deutlich, wie sehr sein Vater seine Mutter geliebt haben muss. Obwohl die negative Seite von Charlies‘ Verhalten seine sanfte und liebevolle Art überschattet, bekommt Chris durch das Durchforsten des Hauses ein Gefühl für die Trauer seines Vaters, sodass er für ihn da sein möchte. Ihm steht mit der Aufrechterhaltung seiner Familie eine große Entwicklungsaufgabe bevor, die er mithilfe seiner Superkraft, nämlich seiner Fantasie, bewältigen muss. Die Eigenschaft, auf Fantasie zu vertrauen und zu träumen, hat Chris von seiner Mutter mitbekommen. Diese war Comiczeichnerin und schon früh hat sie ihm Mut gemacht, alles erreichen zu können, was er sich wünscht. Diese Erinnerungen finden häufig im Spiel Einzug und helfen Chris, an sich selbst, seinen Vater und vor allem an sein Alter-Ego Captain Spirit zu glauben. Schon früh versuchte Emily ihm beizubringen, sich nicht an gesellschaftliche Konventionen halten zu müssen.


Im Spiel werden häufiger moralische Entscheidungen getroffen, auf die Spielende Einfluss haben. Diese Entscheidungen sind an das Kindesalter angepasst und betreffen beispielsweise den Beschluss, eine Actionfigur umzufahren oder nicht. Chris ist zuversichtlich und möchte als Captain Spirit die Welt retten, indem er an das Gute glaubt und Menschen hilft. Mit dieser Einstellung eifert er seiner Mutter nach, die eine engagierte Frau war, indem sie beispielsweise an ihre alte Schule Gelder für angehende Künstler*innen gespendet hat. Auch war sie darauf bedacht, familiäre Bünde aufrechtzuerhalten und ihren Mann zum Teil ihrer eigenen Familie zu machen.


Sein Zeichentalent und seine Fantasie helfen Chris dabei, die schwierige Zeit, in der er und sein Vater sich befinden, zu bewältigen. Die Normen und Werte, die durch Chris‘ eigenverantwortliche Aneignungs- und Herstellungsleistungen dargestellt werden, bieten ein hohes Potenzial, Spielende für Situationen zu sensibilisieren, Verständnis zu zeigen oder sogar Lösungen für eigene Problemen zu schaffen. Ein Spiel wie »The Awesome Adventures of Captain Spirit« bietet durch ein hohes Identifikationspotenzial, die Möglichkeit der Perspektivübernahme und des Verständnisses für Familien(-probleme), psychische Zustände und die daraus resultierenden normativen Erwartungen.


»Monument Valley 2«


Bei »Monument Valley 2« handelt es sich um ein Puzzlespiel, welches 2017 von Ustwo Games als App herausgebracht wurde. Während die Haupthandlung des Spiels aus der Überwindung von abstrakten architektonischen Objekten besteht, die an M.C. Eschers unmöglichen Figuren angelehnt sind, stellt die Nebenhandlung eine Hommage an Mutter-Tochter-Beziehungen dar: Die Spielenden begleiten Ro und ihr Kind durch den natürlichen Lauf des Lebens.


Keine Reise ist so intensiv und stellt so viele Hindernisse, wie die Reise des Lebens. Ro und ihrer Tochter steht eine ereignisreiche Zeit bevor, in der sie gemeinsam die Phasen des Erwachsenwerdens mit den dazugehörigen emotionalen Hürden durchleben. Im Fokus von »Monument Valley 2« steht das besondere Verhältnis, welches Mütter und Kinder miteinander haben. Die Figur der Mutter wird einerseits durch Ro selbst und zum anderen durch abstrakte, geisterartige Übermütter bzw. Mentorinnen dargestellt, die Ro dabei helfen, ihre Aufgabe als Mutter zu bewältigen und sich vor allem auch an ihren eigenen Weg und Lebensfehler zu erinnern. Dabei wechseln die Geisterwesen je nach Kapitel die Gestalt, als würden sie all die Frauen darstellen, die vor Ro und ihrer Tochter gelebt haben. Dies symbolisiert somit generations- und familienübergreifende Normen und Werte, die Mütter an ihre Kinder weitergeben. Die Beziehung zwischen Ro und ihrer Tochter ist dabei sehr liebevoll. Bereits zu Beginn wird Ro von ihrer Tochter umarmt und sie eifert ihr nach, indem sie ihr auf Schritt und Tritt folgt und genau beobachtet, wie die Aufgaben und Rätsel gelöst werden müssen.


»Man wird schnell nervös, wenn sie so schnell wächst. Die Kraft Festzuhalten ist nicht die Herausforderung, sondern die Kraft Gehenzulassen.« Das Spiel ist durchzogen von Normen und Werten, die innerhalb tiefgründiger Aussagen oder Taten sichtbar gemacht werden. Ro hat sichtliche Probleme, sich an den Gedanken zu gewöhnen, ihre Tochter könnte erwachsen werden. Diese Situation verängstigt sie zwar, doch mit der Unterstützung der Geister schafft sie es, den Weg mit ihrer Tochter zu bestreiten. Sie möchte einerseits Vorbild für ihr Kind sein, indem sie vormacht, wie man schwierigen Situationen entgegentreten muss, was in Form von Hindernissen im Spiel geschieht. Andererseits entscheidet sie sich, ihr Kind auf eine Reise zu schicken, damit es lernt, selbstständig zu agieren, Fehler zu begehen und die Komplexität des Lebens zu erkennen. Indem Ro ihre Tochter auf ein Boot schickt, welches durch die Landschaft segelt und die Tiefen und Weiten des Lebens bestreitet, überwindet Ro ihre Angst und zeigt ihrer Tochter, dass sie an sie glaubt. Sie schafft es, sie gehenzulassen. »Sie hat dich gut unterrichtet, aber es gibt noch viel mehr zu lernen. Der Weg wird nicht leicht sein, aber denke daran, dass wir ihn auch gegangen sind. Du bist so sehr gewachsen und auch wenn deine Lektion endet, liegen noch viele vor dir. Unsere Seelen sind ruhelos. Wenn dein Versprechen eingelöst ist, warten wir auf deine Rückkehr.« Diese Worte motivieren Ros Tochter, ihren eigenen Weg zu gehen und sowohl ihre Mutter als auch die symbolischen Geister-(Groß-)Mütter stolz zu machen. Der Glaube an die Selbstständigkeit und an die Persönlichkeit von Ros Tochter hilft dieser, ihr neues Leben Im Spiel wird deutlich, dass es einerseits darum geht, wie mit dem Vermächtnis der Mütter in Form von Normen und Werten umgegangen wird und andererseits gemeinsam neue Generationen von starken Frauen und späteren Müttern zu empowern.


Obwohl es sich bei dem Spiel um eine App mit wenig Spielzeit handelt, können auch solche Spiele die Wichtigkeit von Familie und den vermittelten Normen und Werten darstellen und für eine breite Zielgruppe, aufgrund der einfachen Zugänglichkeit, geöffnet werden. Die Auseinandersetzung mit dem Spiel hebt die besonderen Verhältnisse zwischen Mutter und Kind hervor und ermöglicht eine Perspektivübernahme und Sensibilisierung. Spielenden wird bewusst gemacht, wie sich Eltern fühlen und wie sehr sie sich für ihre Kinder einsetzen, während ihnen gleichzeitig aber auch eigene Probleme und Emotionen bevorstehen.


Fazit


Im Rahmen dieses Artikels sollte das Potenzial herausgestellt werden, welches Games für die Vermittlung von Normen und Werten in Familien bieten. Mithilfe aktiver, immersiver Prozesse ist es Spielenden möglich, sich auf Handlungen intensiv einzulassen und emotional involviert zu werden. Häufig stehen Kindern und Jugendlichen Lebensaufgaben und Konflikten bevor, die sie allein nicht bewältigen können. Digitale Spiele können dabei helfen, familiale und familiäre Verhältnisse zu verstehen, fremde Perspektiven einzunehmen und empathisch mit Problemen anderer umzugehen. Mithilfe von Games können Normen und Werte implizit und explizit vermittelt werden, die diese erst bewusstmachen und dabei helfen, das eigene Spektrum durch fremdes normatives Denken und Handeln zu ergänzen. Games sind zugängliche Werkzeuge und befähigen Rezipient*innen, durch Aktivitäten und Handlungsoptionen, diese in geschützten Räumen auszuprobieren, um im reellen Leben vom Gelernten Gebrauch zu machen.


Hier geht es zum ersten Teil des Artikels, bei dem eine theoretische Grundlage geschaffen wird. Dabei werden die aktuellen Familienforschungen und der Prozess der Wertevermittlung angerissen. Anschließend werden Games ausführlich als potenzielle Wertevermittler dargestellt.


Ludographie


Monument Valley 2 (2017): iOS. Ustwo Games.


Life is Strange 2 (2018): Windows Computer. Dentnod Entertainment. Square Enix.


The Awesome Adventures of Captain Spirit (2018). Windows Computer. Dontnod Entertainment. Square Enix.


Bild: Screenshot »Monument Valley 2«