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Spiele als interaktive Filme – Die Verschmelzung zweier Medien

Immer mehr Spiele werden als interaktive Filme gefeiert. Doch was genau steckt hinter dem Begriff und wie wirken sich die Veränderungen auf Narration oder Spielspaß aus? Wie reagiert der Zuschauer als aktiver Handlungsträger, der anders als im Film in das Geschehen eingreifen und die Situation selbstständig verändern kann, welche Faszinationskraft liegt dem zugrunde und inwieweit tragen die filmischen Stilmittel zur Atmosphäre bei?


Cineastische Erzählweise als stilistisches Mittel


Mit neuerer Technik war es schnell möglich Videospiele besonders realistisch und detailgetreu zu programmieren. Besonders die Cutscenes, die das Spielgeschehen als kleine Filme vorantreiben, wirkten bereits sehr früh wie kleine Filme innerhalb des Spiels und stehen animierten Kurzfilmen in nichts nach. Doch mittlerweile lassen sich zwischen den Cutscenes und den spielbaren Momenten nur noch wenige Unterschiede ausmachen. Besonders Spiele wie Heavy Rain (Link zum Test) oder Beyond: Two Souls, die als interaktive Filme rezensiert werden, weisen sowohl in Story und Atmosphäre, aber auch in der Verwendung stilistischer Mittel wie Kameraposition, Kamerafahrten und Darstellung Merkmale verschiedener Filmgenres und filmischer Mittel auf. Dadurch scheinen sich die Cutscenes nahtlos in die spielbaren Momente einzureihen, die Übergänge sind hierbei meist fließend und auch der Aufbau von Kameraeinstellung und Schnitten bleibt gleich.


Der Spieler hat also permanent das Gefühl die filmischen Szenen weiterzuführen und diese durch die zusätzliche Ebene der eigenen Handlungsgewalt interaktiv zu steuern und so zu verändern. Wobei der cineastische Eindruck in Erzähl- und Darstellungsform durch stilistische Mittel wie Montage, Schnitt, Kameraführung und Musik noch verstärkt wird. In ruhigen Szenen gibt es beispielsweise wenig Schnitte, entspannende Musik und langsame Kamerafahrten, die möglichst viel von der Szene zeigen. Hierdurch wird dem Spieler ein Gefühl der Harmonie und Kontrolle über das Geschehen vermittelt. Während in Gefahrensituationen und Kampfszenen durch hektische Kameraführung, schnelle Nahaufnahmen oder Montagen und beunruhigende Musik verstärkt Spannung aufgebaut wird.


Der Spieler als Regisseur und Protagonist


Der Spieler kann in der virtuellen Welt des Computerspiels in den Körper eines anderen Geschlechts – einer fremden Person schlüpfen und dadurch die Erschaffung der eigenen Identität ausleben. Der Spieler kennt üblicherweise als allwissender Betrachter die Charaktereigenschaften und Handlungsmotive der Spielfigur oder er erschafft sich beispielsweise bei Online-Spielen einen völlig neuen Charakter, entscheidet über dessen Stärken und Schwächen und füllt ihn mit Leben. Bei filmischen Spielen hat der Spieler Figuren mit fest vorgegebenen Charaktereigenschaften und Hintergrundgeschichten, über die er jedoch kaum etwas weiß. Er tappt ebenso wie es vor allem in Kriminalfilmen üblich ist bezüglich der Charaktere und deren Handlungsmotiven im Dunkeln.

Ein Beispiel hierfür ist Fahrenheit (Link zum Test). Sobald das Spiel startet befindet man sich mit seinem Charakter vor einer Leiche und hat ein blutiges Messer in der Hand. Als nächstes versucht man die Leiche zu beseitigen und weiß vorerst nicht, warum oder was geschehen ist. Der Spieler möchte jedoch nicht scheitern, um weiter voran zu kommen und auch den spielbaren Charakter in Sicherheit bringen. Die stressige Situation wird durch einen Balken der den momentanen Zustand der Spielfigur verdeutlicht noch verstärkt. Allgemein kann sich der Spieler also während des Spielens in die Rolle von Regisseur und Protagonist einfühlen. Er gibt Befehle wie ein Regisseur, agiert als allmächtiger Beobachter und hat die Fäden in der Hand den Verlauf der Geschichte in seinem eigenen Sinne zu lenken. Gleichzeitig führt er Aktionen als Protagonist aus, versetzt sich hierbei in den Charakter und verfolgt dessen Ziele.


Die Aktionen in denen der Spieler frei agieren kann sind ebenfalls durch verschiedene Kameraeinstellungen und entsprechende Schnitte wie eine Filmszene arrangiert - ganz als würde der Spieler als Regisseur seine Akteure befehligen an einen Ort zu gehen oder eine Tätigkeit auszuführen. Zusätzlich hat er die Möglichkeit die Kameraeinstellungen zu verändern und die Szene aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Im Film kann der Blick des Rezipienten stets durch Kameraführung gelenkt werden, was die Gewichtung des Wahrnehmens verändert,  während der Betrachter eines Videospiels die interaktive Kamera selber lenken kann.


In Heavy Rain beispielsweise geschieht beides, die Kameraeinstellungen geben durch die vermehrten Cutscenes stets eine Blickrichtung vor, welche der Spieler jedoch sobald er an der Reihe ist wieder verändern kann. Der Spieler hat hierbei die Kontrolle über den Protagonisten und auch über seinen Blick, da er selbst entscheiden kann, wohin die Figur ihren Blick lenkt. Dadurch wird die Illusion einer Welt erzeugt, welche auf die Maßstäbe des Verlangens des Rezipienten zugeschnitten ist. Es findet eine Verschiebung vom Beobachter zum Handlungsträger statt, der Spieler kann selber entscheiden wie sich die Figur verhalten soll und welche Tätigkeit sie zuerst ausführt. Auch die vertonten Gedanken des Charakters können sich vom Spieler angehört werden, wobei er selber auswählen kann worüber dieser gerade nachdenkt. Der Spieler kann also interaktiv in das Geschehen eingreifen, den Protagonisten nach seinen Wünschen handeln lassen und als aktiver Handlungsträger darüber entscheiden, wie eine Szene aussehen aber auch ablaufen soll.


Handlungstragende Entscheidungen


Innerhalb der Narration eines Spiels lässt sich mitunter der größte Unterschied zum Film herausarbeiten. Der Ablauf der Geschichte ist im Film fest vorgeschrieben, während der Held des Videospiels im Falle eines zweiten Durchspielens nie wieder genau gleich agieren wird. Die Geschichte resultiert aus dem aktiven Handeln des Rezipienten. Ein entscheidendes Kriterium ist also hierbei die Erzählform, wobei der Handlungsstrang gradlinig vorgegeben ist. Auch zu bereits besuchten Orten kann man, wie es beispielsweise bei Open-World Spielen üblich ist, nicht zurückkehren, da die einzelnen Spielszenen in Form von Episoden ablaufen. Oftmals nimmt der Spieler hier während des Spiels die Rolle verschiedener Charaktere ein. Wie auch im Episodenfilm erkennt der Rezipient erst während des Spielverlaufs die Verknüpfungen zwischen den Geschichten, die sich zum Ende zu einem Gesamtbild vereinen. Der Spieler reift vom unwissenden zum allwissenden Betrachter und erhält erst am Ende die Erkenntnis, sobald sich ihm die Zusammenhänge offenbaren.


Es eröffnen sich dem Spieler verschiedene mögliche Handlungsstränge, die letztlich oftmals zu verschiedenen Enden führen können. Je nachdem wie sich der Spieler entscheidet, laufen die folgenden Kapitel anders ab. Ein Beispiel hierfür ist The Walking Dead (Link zum Test), das aus 5 Episoden besteht. Je nachdem, wie man sich entschieden hat, verändert das das Verhältnis, das man zu anderen Figuren hat. Wie auch in den anderen hier genannten Spielen, können diese Entscheidungen auch den Tod von spielbaren und nicht spielbaren Figuren zur Folge haben. Sobald man einen Charakter verliert, kann man mit den anderen Protagonisten jedoch weiterspielen. Ein einfaches Scheitern oder Vollenden des Spiels ist nicht gegeben, da man mit jeder Konstellation verschiedene Enden erleben kann. Neben einem Happy End oder der Katastrophe gibt es auch nur teilweise befriedigende Lösungen. Oft kann sich der Spieler in alle spielbaren Charaktere hineinversetzen und ist gewillt für alle die optimale Lösung zu finden. Trotz der Ambiguität der Charaktere glaubt man stets als Handlungsträger Kontrolle über die Figuren zu haben, was sich jedoch bei manchen Spielen als Irrtum herausstellt. Die Ungewissheit über das Handeln und die Motive von Figuren ist ein oft verwendetes Mittel im Film aber untypisch für ein Videospiel.


Emotionen beim Spielen


Schon seit Anbeginn des Mediums Computerspiel löst dieses, wie es auch andere Medien tun, Emotionen beim Spieler aus. Bereits zu Zeiten verpixelter Grafik und simpler Spielmechanismen spielten Gefühle wie Frustration und Erfolg eine entscheidende Rolle. Für den Faktor des Wiederspielens und die Motivation nicht aufzugeben, ist das Gleichgewicht von Scheitern und Lösen von großer Bedeutung. Das Spiel Tetris beispielsweise bewirkt beim Spieler ein Gefühl der Befriedung sobald der ersehnte gerade Block erscheint und er so die Reihe schließen kann. Ebenso entsteht ein Gefühl der Frustration, wenn dies nicht oder zu spät geschieht und der Spieler beim Versuch scheitert. Obwohl hierbei nicht einmal ein Protagonist vorhanden ist mit dem sich der Spieler identifizieren könnte und keinerlei menschliche Gefühle abgebildet werden, sind es genau solche, die im Spieler aufkeimen. Das Medium Videospiel arbeitet verstärkt mit dem Wunsch, eine Anforderung zu erfüllen und die Aufgabe zu lösen. Der Spieler will Ziele verfolgen, Fortschritt erlangen und Herausforderungen überwinden, um Empfindungen wie Aufregung oder Erleichterung zu erfahren.


Beim Videospiel ist der Spieler stets Mittelpunkt der Handlung, da nur er über die Aktionen der Protagonisten entscheidet. Er ist anders als im Film aktiv beteiligt und involviert, was sich bedeutungsgebend auf die Rezeption auswirkt. Es findet eine intensive Immersion, eine verstärkte Identifikation mit der virtuellen Figur statt. Man hat direkten Zugriff auf die Charaktere, deren Handeln und die resultierenden Konsequenzen, wodurch sich der Spieler sehr intensiv in die Spielfigur hineinversetzen kann. Dadurch ist der Spieler stets erpicht, die Entscheidungen zu treffen, die bestmögliche Lösungen liefern. Hierbei ist es jedoch nicht immer ersichtlich, welche Entscheidung sich letztlich als positiv herausstellt. In Beyond: Two Souls kann man sich beispielsweise für oder gegen eine Liebesbeziehung entscheiden.


Doch auch weitaus schwierigere und moralische Entscheidungen müssen vom Spieler getroffen werden – so muss der Spieler in The Walking Dead entscheiden, wen von der Gruppe er rettet oder unter welchen Personen er die letzten Essensvorräte aufteilt. Auch in Heavy Rain muss man schwierige Entscheidungen treffen, beispielsweise ob man einen Familienvater tötet, um sein eigenes Kind zu retten. In solchen Situation wird an die Moral und das Mitgefühl des Spielers appelliert und von ihm verlangt, Situationen richtig einzuschätzen. Der Spieler kann selber entscheiden ob seine Charaktere ehrenhaft oder grausam handeln. Das Spiel versucht hierbei keine Lösungsansätze vorzugeben. Es gibt keine vom Spiel vorgeschriebenen richtigen Entscheidungen, vielmehr sind es die Entscheidungen der Spieler, die direkte Auswirkungen auf die Geschehnisse im Spiel und das Verhältnis der Figuren untereinander haben. Der Abstand, den der Zuschauer eines Films hat wird hierdurch aufgebrochen. Der Spieler hat die Möglichkeit aktiv in den Handlungsverlauf einzugreifen und kann sich somit nicht über fehlerhaftes Verhalten der Figuren ärgern.


Hektische Actionsequenzen


Bei filmischen Spielen gibt es eine Auswahl an Optionen, die Freiheit vermitteln, obwohl sie begrenzt sind. Bedeutungsgebend ist hierbei, ob der Spieler das Resultat als Erfolg oder Misserfolg interpretiert. Im Falle einer  negativen Konsequenz stellt sich ein unbefriedigtes und schuldbewusstes Gefühl ein, da es der Rezipient selber war, der handlungstragend agiert hat. Er kann sich in dem Fall nicht mehr herausreden, indem er sagt, er habe nur getan, was das Spiel von ihm verlangt hat. Anders als beim Film, beginnt sich der Spieler zu fragen, was geschehen wäre, wenn er anders reagiert hätte.


In hektischen und gefährlichen Situationen kommt es hierbei auf Können, Aufmerksamkeit und Reaktionsvermögen des Spielers an. Die Aktionen oder Quick-Time-Events werden durch Interaktion mit dem Kontroller gesteuert. Die Steuerung der Konsole zielt hierbei jedoch darauf ab, den Spieler unter Druck zu setzen und in spannenden Situationen den Stress zu erhöhen. Der Rezipient kann in dem Falle nicht wegschauen wenn eine Szene zu spannend ist und auch die Aufforderungen der Protagonist solle doch nicht die Tür aufmachen oder in eine bestimmte Richtung laufen, die sonst nur den Bildschirm beziehungsweise die Leinwand erreichen, sind somit hinfällig. Zusätzlich werden menschliche Emotionen wie Unentschlossenheit, Angst oder Verzweiflung suggeriert. Dies gelingt durch psychologische Hilfsmittel wie eine wackelnde Kamera oder das Versagen des Kontrollers während einer Panikattacke. Gelingen dem Spieler in der Rolle des Protagonisten verschiedene Aktionen wie das Ausweichen in Kämpfen oder das Weglaufen während einer Flucht nicht, können Charaktere verhaftet oder gar getötet werden. Die Identifikation des Betrachters mit den Charakteren wird dadurch nochmals gestärkt, da sein aktives Handeln auch Auswirkungen auf die Unversehrtheit der Charaktere und deren Erfolg ihre Ziele zu erreichen hat.


Reale Schauspieler


In neueren Videospielen wird zudem verstärkt auf eine reale Grafik gesetzt. Hierbei spielt es vorerst keine Rolle wie menschlich die Akteure sind. Durch die zur Schau Stellung von Emotionen werden Gefühle im Spieler geweckt. Er kann sich mit den Figuren identifizieren, mit ihnen leiden und sich mit ihnen freuen. Dennoch bleibt immer eine gewisse Distanz sofern die Akteure noch zu verfremdet respektive nicht menschlich oder zu unreal sind. Der Rezipient kann emotional zwar mit den Figuren mitfühlen, hat aber stets vor Augen, dass es sich um künstlich geschaffene und nicht real existente Charaktere handelt. Doch die technischen Möglichkeiten erlauben eine immer detailgenauere Abbildung des Menschen. Ein Beispiel hierfür ist The Last of Us, in dem die Charaktere besonders detailgetreu animiert wurden. Es wurde viel Wert darauf gelegt, besonders durch den Charakter Ellie viel Emotionen durch Mimik und Darstellung auf den Spieler zu übertragen. Bei The Walking Dead ist es ebenfalls das kleine Mädchen Clementine, das das Mitgefühl der Spieler anspricht.

Beyond: Two Souls hingegen ist das erste Videospiel, das mit realen Hollywood-Schauspielern wie Ellen Page oder Willem Dafoe wirbt. Jede Szene wurde durch die Schauspieler aufgenommen und später nachanimiert. Die Figuren sollten in ihren Bewegungen und ihrer Mimik möglichst menschlich wahrgenommen werden, um eine Illusion von Realität zu suggerieren und die Grenzen der Fiktionalität zu verwischen. Die genaue Darstellung von bekannten Verhaltensmustern wie Gestik und Mimik baut Faszination auf, verstärkt die Identifikation mit den bekannten Figuren und hilft, sich mehr in in die Figuren einzufühlen.


Bei filmischen Spielen erinnern die Ähnlichkeiten zu den filmischen Genres oder die Verwendung stilistischer Mittel an die Attribute des Medium Film. Die Darstellungsweise der Charaktere und auch die Erzählform brechen mit den gängigen Konventionen des Videospiels. Dennoch werden besonders in der Identifikation mit den Protagonisten und der Frage nach der eigenen Verantwortung die Mechanismen des Computerspiels hervorgehoben: Die Frage nach der eigenen Ethik und Moral, sowie die Entscheidungsfreiheit und die daraus möglicherweise resultierenden Konsequenzen liegen bei dem Spieler. Durch die Verbindung in Darstellung und Spielweise wird die Geschichte erlebbar. Der Spieler ist gleichzeitig Handlungsträger, Voyeur, Regisseur und Verantwortlicher. Betrachtet man die kurze Existenz dieses Mediums, erkennt man die rasanten Weiterentwicklungen und Fortschritte. Dies geschieht unter anderem, da sich das Videospiel einiger Mittel des vorangegangenen Mediums Film bedient, diese mit den vorhandenen Attributen kombiniert und dadurch eine neue hybride Form des eigenen Mediums schafft. Spannend bleibt, wie sich Videospiele zukünftig weiterentwickeln und inwieweit sich Film und vor allem Fernsehen weiterhin als Unterhaltunsgmedium durchsetzen.

 

 via Spieleratgeber

 

Bild: Naughty Dog